
Shadowrun - IT Support
Der folgende Text spielt im Universum des Pen & Paper Spiels Shadowrun.
Das Jahr ist 2080 und die Magie ist schon vor langer Zeit in die Welt zurückgekehrt. Mit ihr zusammen haben Meta-menschliche Wesen wie Elfen und Orks aber auch andere Wesen wie Drachen Einzug in den Alltag gehalten.
Die Machtverhältnisse der Welt werden zwischen Megakonzernen ausgefochten, die riesige Gebiete und damit das Leben jedes Einzelnen in der sechsten Welt kontrollieren. Personen, die sich den Regeln dieser Megakonzerne wiedersetzen, heißen Shadowrunner.
Adalius Chevalier hat bereits eine nervenaufreibende Zeit in den Schatten hinter sich und verschrieb sich deshalb dem walisischen Lord Llanfrechfa. Er arbeitet für gewöhnlich als Schutzmagier, um entweder den Lord selbst, oder seine Tochter Emily zu schützen.
Als der Lord ihm jedoch nach langer Zeit mal wieder einen Auftrag erteilt, der sich nicht im grellen Scheinwerfer Licht des englischen Adels, sondern in den Schatten Londons abspielt, muss Ade beweisen, dass er immer noch das Zeug dazu hat in den Schatten zu überleben.
1
„Ich möchte, dass du etwas für mich nach London schleust.“ Lord Llanfrechfa schob eine kleine Pappschachtel über seinen Schreibtisch.
Ade blinzelte. Eigentlich hatte er erwartet, dass sie die Sicherheitspläne für den nächsten Verlobungsball seiner Tochter besprechen würden. Zumindest war das sonst immer der Fall, wenn der Lord ihn am frühen Morgen in sein Büro zitierte. Bisher hatte es nie Probleme gegeben, worüber sie beide froh waren, aber man konnte nie sicher sein.
Und kurzfristige Planänderungen bedeuten meist Ärger.
Ade nickte in Richtung Paket. „Ich nehme an, dass ich nicht mehr wissen darf?“
Der Lord lehnte sich in seinem Sessel zurück und hob eine Augenbraue, sagte aber nichts.
„Verstehe.“ Nervosität breitete sich in Ades Magengegend aus, schwer wie Blei, aber aufgeladen wie elektrischer Draht. Mehr Informationen wären ihm lieber gewesen, denn es machte schon einen Unterschied, ob er sich vor Menschen oder Maschinen verbergen sollte.
Wenn er eins in den Schatten gelernt hatte, dann, dass Informationen oft den Unterschied zwischen Leben und Tod darstellten. In den letzten Monaten hatte er ausschließlich als Bodyguard für die Tochter des Lords gearbeitet. Wenn ein bloßer Auftrag ihn schon nervös machte, wurde es höchste Zeit, wieder ins Feld zu gehen.
Er nahm das Paket an sich und betrachtete es. Die Verpackung maß vielleicht die Höhe und Breite seiner Hand und wog fast nichts. „Handelt es sich um etwas zerbrechliches?“
Der Lord schüttelte den Kopf. „Das nicht, aber sagen wir einfach, es wäre mir lieb, wenn es trotzdem nicht runterfallen würde.“ Ade nickte und der Lord fuhr fort. „Sobald du die Londoner Stadtgrenze erreichst, werde ich dir Koordinaten auf deinen Kommlink schicken. Das kann ich aber nur für begrenzte Zeit tun, ohne dass es jemand mitbekommt, also merk sie dir.“
Die ganze Sache gefiel Ade immer weniger.
Auch wenn der Lord und er nicht die besten Freunde waren, hatten sie inzwischen ein gutes Zusammenspiel gefunden, wenn es um Sicherheitsfragen ging. Sie konnten sich blind darauf verlassen, dass die Sicherheit seiner Tochter für sie beide die absolut höchste Priorität hatte. Der Lord tat alles, was nötig war, um seine Familie zu beschützen, und Ade stellte sicher, dass seiner besten Freundin nichts passierte.
Und damit alles reibungslos ablief, gehörte es auch dazu, dass Ade sämtliche Ausrüstung und Informationen hatte, die er brauchte.
Aber das Gleiche galt nicht für einen Shadowrun.
Hier wusste er nicht, wo die Prioritäten des Lords lagen, eine Sache, die ihm erst jetzt zum ersten Mal unangenehm auffiel.
Natürlich machte es für eine geheime Lieferung Sinn, dass er so wenig Informationen wie möglich erhielt und selbst unter diesen Umständen würde der Lord ihn nicht ins offene Messer rennen lassen, aber es bedeutete trotzdem, dass er mit allem rechnen musste.
Und wenn man mit allem rechnen musste, galt es auch, sich auf alles vorzubereiten. Anspannung schoss durch seine Nervenbahnen.
Er räusperte sich. „Verstanden. Bis wann soll die Lieferung da sein?“
„Heute Nachmittag“, der Lord seufzte und verzog das Gesicht. „Und es gibt da noch ein kleines Problem.“
Und genau da war der Haken, auf den er gewartet hatte. Wenigstens bedeutete das auch, dass seine Instinkte immer noch funktionierten und dass der Lord ihn nicht direkt ins kalte Wasser werfen würde.
„Okay?“
„Die Person, die das Paket bekommen soll“, der Lord rieb sich die Stirn. „Spricht nicht unbedingt gern mit Fremden.“
Jetzt war es Ade, der eine Augenbraue hochzog. „Ich verstehe nicht.“
„Paranoia hält einen in den Schatten am Leben, aber wenn man zu weit geht, verhindert es auch, dass andere einem helfen können.“ Der Lord spitzte die Lippen und dachte nach. „Wenn das Paket erfolgreich beim Ziel ankommt, könnte es helfen eine ganze Menge Leute zu schützen, Adalius.“
Es freute Ade, dass der Lord sich an seine Aufforderung hielt, ihn beim vollen Namen zu nennen.
Was ihn weniger freute, war die Formulierung, die er benutzt hatte.
Ade war nicht dumm. Der Lord war geübt im Umgang mit Meta-menschen. Natürlich wusste er genau, was Ade motivierte und nutzte es, um ihn zu überzeugen. Das erwartete Ade auch inzwischen von ihm. Was er nicht erwartete, war, dass der Lord so etwas tat, direkt nachdem er über ein Problem für einen Auftrag sprach.
„Was verschweigt ihr mir? Von was für einem Grad an Paranoia sprechen wir?“
Er musste an Flavio denken und seine Obsession, keine persönlichen Informationen irgendwo zu hinterlassen. Bei aller Liebe, die Ade für ihn empfand, ging er doch öfter zu weit, wenn er Aztech Spione in Passanten sah und Verhöre in freundlichem Small Talk.
Damit konnte er umgehen. Er hatte gelernt, Flavios Ängste zu beschwichtigen, wenn dieser selbst nicht bemerkte, dass sie ihm im Weg standen. Aber wenn selbst der Lord das Gesicht verzog, wenn er darüber sprach, war es wahrscheinlich deutlich schlimmer.
Das Grinsen, was sich auf dem Gesicht des Lords breitmachte, löste bei Ade sämtliche Alarmglocken aus.
„Ich bin mir sicher, es ist nichts, was du nicht hinbekommst. Vielleicht waren bisherige Versuche mit der Person zu reden nicht sonderlich“, er überlegte. „Förderlich, aber das wirst du dann ja vor Ort sehen. Ich kenne niemand Besseren, der für den Job geeignet wäre.“
Der Lord gab sich nicht einmal Mühe zu verbergen, dass er ihn gerade direkt angelogen hatte. Wahrscheinlich kannte er niemanden, der überhaupt für den Job geeignet wäre. Ade musste keinen Wahrheitszauber anwenden, um das zu erkennen.
Sollte ihm Recht sein.
„Ich werde etwas Geld brauchen, um mir ein Motorrad zu leihen.“
Der Lord winkte ab. „Da habe ich natürlich schon dran gedacht.“ Er holte einen Credstick aus der Schublade seines Schreibtischs. Manchmal fragte Ade sich, ob der Lord einfach eine Sammlung geladener Credsticks darin aufbewahrte.
„Zahl damit, was du brauchst. Den Rest kannst du behalten.“
Ade nickte und steckte den Stick ein. Er brauchte nicht nachsehen, wie viel sich darauf befand. Je länger er für den Lord arbeitete, desto weniger interessierte ihn das Geld, was er dafür bekam. Der Lord zahlte gut, aber viel wichtiger war es, dass er in der Regel anderen Leuten helfen wollte.
„Ich melde mich, wenn ich das Paket abgegeben habe.“ Er wandte sich zum Gehen, als er zurückgerufen wurde.
„Ach ja, Adalius.“
Ade bleib stehen.
„Jetzt, da du mein Staatsbürger bist, solltest du dir einen neuen Runner-Namen zulegen. Was vorher alles auf deiner SIN gespeichert wurde interessiert mich nicht, aber ich habe keine Lust, dass irgendwelche Konzerne an meiner Tür klopfen. Du bist zu oft mit meiner Tochter gesehen worden. Ich kann ihnen schlecht erklären, dass wir uns nicht kennen.“
Ade nickte. „Geht klar. Ich hatte eh vor, für die Fahrt ein anderes Gesicht zu tragen.“
Der Lord dachte nach. „Gut. Wenn das alles funktioniert, könnte ich mich danach vielleicht dazu überreden lassen, dir einen Fokus anzuschaffen.“
Ade war sich nicht sicher, ob es sich dabei um ein Angebot oder einen lauten Gedanken des Lords handelte. Es war auch egal, immerhin machte er das Ganze nicht für Geld.
Er verabschiedete sich und verließ das Büro.
2
Die Fahrt nach London verlief so ruhig, dass seine innere Unruhe zunahm.
Seine Finger krallten sich fester um die Griffe des Motorrads und er bog in eine Seitenstraße knapp außerhalb von London ein.
Die Gegend schlief.
Nicht eine Drohne hatte ihn verfolgt. Kein Auto hatte merkwürdig ausgesehen. Er war sogar extra ein paar Schleifen durch Londons Mitte gefahren, um etwaige Verfolger im dichten Verkehr der Innenstadt abzuhängen, aber selbst dort war ihm nichts aufgefallen. Sein „Feinde Entdecken“ Zauber meldete sich auch nicht.
Wenn er so weiter machte, war er es vielleicht, der am Ende paranoid wurde.
Trotzdem hatte er bei all der Dramatik, die der Lord aufgebracht hatte, irgendwie mehr erwartet. Vielleicht hatte er zu viel hinein interpretiert, immerhin besaß der Lord einen natürlichen Hang zur Überschwänglichkeit. Jetzt, wo er darüber nachdachte, ergab diese Erklärung sogar sehr viel Sinn.
Die Koordinaten, die auf dem AR Bildschirm seines Helms leuchteten, flackerten und verblassten. Sie gaben den direkten Blick auf die nasse, dreckige Straße frei, in der sein Ziel liegen sollte.
Backsteinhaus kuschelte sich an Backsteinhaus. Der Beton auf der Straße wies mehr Löcher auf, als eine Panzerjacke nach einer Schießerei und wenn die überquellenden Müllcontainer und dicke Schicht Schlamm auf allen Oberflächen nicht wäre, hätte die Straße fast nostalgisch aussehen können. Eine Art verloren gegangener Charme aus einem gerade erst industrialisiertem London.
Er parkte das Motorrad drei Straßen weiter. Seine kalten Finger saugten die Wärme der Metallverkleidung auf, während er die Straßen um sich herum beobachtete, aber alles blieb ruhig.
Ein kurzer Griff in seine Panzerweste bestätigte, dass das Paket immer noch an Ort und Stelle direkt an seiner Seite ruhte. Soweit so gut.
Ade warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel. Statt grauem Haar und violetten Augen sah er schwarze Augen und Locken, das Aussehen seines Personas Arsenio Castell. Seine physische Maske saß also auch noch.
Er machte sich auf zum Zielort.
Die Koordinaten hatten auf der Karte ausgesehen, als ob sie mitten in einem Block Wohnhäuser lagen und jetzt, wo er die Straße vom Boden aus sah, verstand er warum.
Das Haus, vor dem er zum Stehen kam, musste einst weiß gewesen sein. Jetzt bedeckte so viel Dreck die Fassade, dass es zwischen den angrenzenden Backsteinhäusern verschwand.
Im Vergleich zu allen anderen Häusern stand es außerdem leicht nach hinten versetzt, sodass eine schmale Rasenfläche zwischen der Eingangstür und dem Straßenrand bestand. Ein Eisenzaun trennte beide Gebiete. Rechts und links von der Tür wucherten zwei alte Weiden in alle Richtungen und verdeckten die Fassade des Hauses fast komplett.
Wenn er keine Koordinaten gehabt hätte, wäre er direkt daran vorbei gefahren.
Er hielt leicht abseits des Grundstücks an und schloss die Augen. Man konnte nie sicher sein.
In seinem Geist schoben sich drei Ringe übereinander, darin die alchemischen Zeichen für Luft, Leben und Energie. Er zog Mana aus seinem Umfeld. Es durchdrang seine Haut und wanderte durch seine Nervenbahnen hinauf bis zu seinem Kopf. Die Kreise und Zeichen darin glühten vor seinem inneren Auge auf und breiteten sich wie eine Welle wieder um ihn herum aus. Als er die Augen öffnete, flimmerte der Gehweg bunt.
Er suchte nach den farbigen Umrissen von Meta-Menschen, die der Zauber „Leben Entdecken“ ihm zeigen würde, aber die Straßen blieben leer. In den Häusern zu seinen Seiten konnte er einige Silhouetten ausmachen und auch einiges an winzigen Formen unter ihm in der Kanalisation, aber niemand auf den Wegen. Hoffentlich lag es einfach daran, dass er an einem Arbeitstag vorbei kam.
Als er sich zurück zum Haus drehte, hielt er inne.
Zwei Silhouetten befanden sich direkt hinter der Tür.
Eine der beiden stand näher am Eingang, die andere weiter dahinter. Sie bewegten sich nicht.
Er öffnete das Eisentor und kam langsam auf den Eingang zu. Es gab keine Klingel oder Ähnliches, womit er sich hätte ankündigen können.
Die Silhouetten bewegten sich immer noch nicht von der Stelle.
Der Zauber verblasste, als er die Hand hob und vorsichtig an die Tür klopfte.
Erst reagierte niemand, aber die beiden Figuren hatten nah genug an der Tür gestanden, dass sie ihn gehört haben mussten.
Er klopfte erneut.
„Wer da?“ Frostys Stimme stach unerkenntlich durch die Tür hindurch.
Ade schmunzelte. Etwas von seiner Angespanntheit fiel von ihm ab. Das erklärte schon mal, was der Lord mit „nicht förderlichem Verhalten“ gemeint hatte.
Er hatte Frosty zum ersten Mal in Berlin getroffen und nur kurz mit ihr gesprochen. Trotzdem hatte diese kurze Interaktion ihm bereits bestätigt, dass ihr Runnername nicht nur ihre Fähigkeiten beschrieb.
„Lieferung von einem Freund.“
Mehrere Schlösser klickten von innen und die Tür öffnete sich einen Spalt breit. Ein eiskalter Windhauch drang hindurch.
Viel mehr als Frostys eisblauen Bob und ein einzelnes Auge konnte er dahinter nicht erkennen.
„Und warum sollte ich das glauben?“
Irgendwie hatte Ade angenommen, dass der Lord sie kontaktiert hätte, aber anscheinend war das nicht der Fall gewesen.
Stattdessen ließ er die Maskierung seiner Aura fallen, bevor er in einen Eisklotz verwandelt wurde. „Askenn mich.“
Frosty wartete keine Sekunde.
Sein Hinterkopf kribbelte und ein leichter Schauer jagte ihm über den Rücken. Anscheinend untersuchte Frosty seine Aura genauestens, denn er bekam Gänsehaut am ganzen Körper. Es stieg bis zu dem Punkt an, dass es sich anfühlte wie tausend kleine Nadelstiche. Ein zweiter Schauer rollte über seinen Rücken, als sie seine Gefühlslage las.
Er hatte prinzipiell kein Problem damit, zuzugeben, dass er im Moment etwas misstrauisch und aufgeregt war, Frosty löste diese Reaktion in anderen Meta-Menschen aus, aber er hatte schon bei ihrer ersten Begegnung das Gefühl gehabt, dass Frosty Personen auch sehr schnell verurteilte. Dabei hatte er nichts gegen sie.
Eine unendliche Minute später nickte sie. „Komm rein.“ Sie öffnete die letzten Riegel.
Ade trat ins Innere.
Die Eingangshalle besaß einen kleinen Tresen, der inzwischen mit Kerben und Graffiti übersät war, aber die Zahl der Türen an den Wänden und die große Treppe gegenüber vom Eingang deuteten auf ein ehemaliges Gasthaus hin.
Während er sich umsah, bemerkte er hinter Frosty einen kleineren Mann mit blonden Haaren. Er hatte ein rundes, freundliches Gesicht und trug einen Anzug, der weder zu einem Leben in den Schatten, noch zu dem heruntergekommenen Hotel passte.
Der Mann hob vorsichtig eine Hand und winkte schüchtern.
Ade nickte ihm zu, bevor er sich wieder an Frosty wandte. Sie hatte die Tür erneut verriegelt und blickte ihn erwartungsvoll an.
Er ließ seine physische Maske fallen.
Zwar entspannten sich Frostys Schultern dadurch ein wenig, aber ihr Blick blieb genauso wachsam.
„Ich habe ihm gesagt, dass ich keine Hilfe brauche. Hast du wenigstens das Paket dabei?“
Ade nickte. Er hatte an diesem Tag mit vielem gerechnet, aber nicht damit, ins Kreuzfeuer einer Diskussion zwischen Frosty und dem Lord zu geraten.
„Mir wurde aufgetragen, dass ich es bei einem schüchternen Gast abgeben soll.“
Frosty schnaubte. „So kann man es auch bezeichnen.“
Ade holte das Paket hervor, was ihm einen neugierigen Blick einbrachte, aber Frosty sagte nichts. Stattdessen huschten ihre Augen zu der Treppe nach oben.
„Dann viel Spaß dabei. Das Zimmer ist Nummer 69. Ich muss jetzt los.“
Der Mann hinter Frosty meldete sich zu Wort. „Vielen Dank noch einmal für die Hilfe. Ich hoffe, dass das nicht zu viele Umstände macht, aber anders als zu fliegen war das nicht machbar und…“
Frosty schnitt ihm das Wort ab. „Ihr beiden könnt es mir danken, indem ihr mich bezahlt. Ich schicke euch den Rest der Rechnung, wenn er hier ist.“
Der Mann nickte. „Selbstverständlich. Und wegen dem Katana…-“
Frostys Augen schnellten zu Ade, bevor sie dem Mann erneut ins Wort fiel. „Das klären wir, wenn ich wieder da bin.“
Sie wandte sich an Ade. „Bau keinen Mist, solange du hier bist, und verhalte dich unauffällig.“
Für einen kurzen Moment hatte er den Drang, ihr zu erklären, dass er ihren Ton nicht mochte, aber wahrscheinlich lag das nur an den vielen Unterrichtsstunden in royalen Etiketten, zu denen der Lord ihn gezwungen hatte. Es machte schon Sinn, um unter anderen Gästen im Schloss nicht aufzufallen, aber das bedeutete nicht, dass er den Großteil der Protokolle nicht trotzdem bescheuert fand. Wenn er sich zwischen strengen Benimmregeln und dem rauen Ton der Schatten entscheiden musste, konnte er mit zweiterem immer noch besser umgehen. Es würde nur etwas dauern, bis er sich wieder daran gewöhnt hatte.
„Geht klar.“
Frosty nickte und verschwand aus der Tür.
„Soll ich ihnen den Raum zeigen? Ich weiß, wo er ist.“
Ade blinzelte und wandte sich zu dem Mann neben ihm.
Er schaute sich konstant um, wie ein nervöses Eichhorn.
Während seines ersten Jahres in den Schatten, nachdem er Knight Errant entkommen war, hatte Ade sich auch nicht anders verhalten und er kannte das Gefühl, Gefahren hinter jeder Ecke zu sehen, nur zu gut. So ganz hatte er es auch nie abgelegt.
„Vielen Dank für das Angebot, aber ich denke, ich werde es schon selbst finden.“ Er senkte seine Stimme bewusst zu einem sanften Ton.
Es zeigte Wirkung. Der Mann entspannte seine Hände, schaute aber trotzdem immer wieder zur Tür.
Ade überlegte. „Ich werde oben sein. Wenn etwas ist, können sie mir gern Bescheid sagen und ich werde ihnen helfen.“
„Ach, das wird nicht nötig sein, denke ich“, der Mann schüttelte den Kopf. Er atmete einmal durch und schaute ein letztes Mal zur Tür. „Aber danke.“
Ade nickte ihm zu und machte sich auf zu Raum 69.
3
Es dauerte nicht lange, bis er wusste, wo er hinmusste. Irgendjemand hatte alle Türen im oberen Flur mit knallgelbem Graffiti durchnummeriert und anscheinend hatte man sich gerade bei der neunundsechzig besonders Mühe gegeben.
Um das Graffiti herum prangten derartig viele phallische Kritzeleien, dass er sich kurz fragte, ob sich jemand wirklich die Mühe gemacht hatte, exakt 69 davon auf dem brüchigen Holz zu verteilen. Den sexuellen Sprüchen oder rassistischen Kommentaren dazwischen schenkte er bewusst keine weitere Beachtung.
Stattdessen freute er sich darüber, dass er seine Motorradhandschuhe noch nicht ausgezogen hatte, und klopfte an die Tür.
Er bekam keine Antwort.
Anscheinend gab es an diesem Tag ein Muster.
Als er ein weiteres Mal klopfte, bekam er zwar keine Antwort, aber etwas aus Metall quietschte leise im Inneren des Raums. Vielleicht war also doch jemand da.
„Lieferung.“
Wieder nichts.
Damit konnte er auch arbeiten. Wenn seine Zielperson tatsächlich zu starker
Paranoia neigte, musste er darauf eingehen. Zumindest half das Flavio immer. Es ärgerte ihn allerdings schon, dass er nicht doch noch mal ein Buch zu dem Thema gelesen hatte.
Aber jetzt war es auch zu spät und Bücher halfen in der Praxis leider eh nur begrenzt.
Er musste beweisen, dass er keine schlechten Intentionen hatte, und nicht log, was die Lieferung an ging, aber das war leichter gesagt als getan.
„Ich würde das Paket vor der Tür abstellen, aber ich brauche eine Bestätigung für den Sender, dass es angekommen ist.“
Wieder quietschte es von innen, aber er bekam keine weitere Antwort.
„Ich kann hören, dass sie da sind. Wenn sie nicht mit mir reden wollen, kann ich das verstehen. Könnten sie vielleicht an die Tür klopfen, damit ich weiß, dass sie mich hören können?“
Es kam wieder nichts.
Er konnte Leben entdecken benutzen, um sicherzugehen, dass er nicht gerade mit einem leeren Zimmer redete, aber er wusste auch nicht, ob der Empfänger eventuell magisch war. Und auch wenn die Person nichts von dem Zauber selbst mitbekommen sollte, war es schlichtweg nicht richtig. Er würde wohl kaum gutes Karma sammeln, indem er den Rückzugsort einer verängstigten Person störte.
Ehrlichkeit und Empathie hatten ihn bisher immer am weitesten gebracht, selbst in den Schatten.
„Sie können mich Merkur nennen.“ Er überlegte, was er noch an Informationen herausgeben konnte, ohne sich direkt in Schwierigkeiten zu bringen, als er leises Klackern von hinter der Tür vernahm.
Jemand tippte auf einer Tastatur herum.
„Ich denke nicht, dass sie mich in der Matrix unter diesem Namen finden werden.“
Ade seufzte leise und setzte sich vor der Tür auf den Boden. Das hier würde aller Wahrscheinlichkeit nach noch eine Weile brauchen.
„Ich weiß selbst auch nicht, was in dem Paket ist, aber wenn sie wollen, kann ich ihnen beschreiben, wie es aussieht.“
Flavio half es immer, so viele Informationen wie möglich über seine Umstände zu bekommen, wenn er wieder einmal dachte, dass die Oma, die in der Wohnung unter ihnen wohnte, für Aztech spionierte. Und um ehrlich zu sein, konnte Ade es ihm nicht mal übel nehmen, dass er das dachte. Die Frau war nett, aber auch etwas merkwürdig. Sie sprach kein Englisch, was die Kommunikation deutlich erschwerte.
Das brachte ihn auf eine Idee.
„Wäre es Ihnen lieber, wenn wir in einer anderen Sprache reden? Oder auf einem anderen Medium? Ich könnte ihnen Deutsch anbieten oder ihnen ein Blatt Papier unter der Tür durchschieben. Per Kommlink schreiben ginge auch, aber ich befürchte, dazu bräuchte ich ihre Nummer.“
Es war ein Schuss ins Blaue, aber es gab einige Leute, die es bevorzugten, mit anderen zu schreiben, anstatt zu sprechen. Er selbst gehörte nicht dazu, aber das war auch gerade nicht wichtig.
Zu seiner großen Verwunderung erklang eine Stimme aus dem Zimmer. Sie sprach Deutsch.
„Was macht jemand aus der ADL in London?“
Die Stimme war abgenutzt und besaß einen leichten Akzent, den Ade nicht zuordnen konnte, aber schwach genug war, damit er einige ADL-Gebiete direkt ausschließen konnte.
„Ich nehme an, das Gleiche wie sie.“ Er lachte leise.
Inzwischen verstand er, warum der Lord so ein Geheimnis aus der ganzen Mission gemacht hatte. Frosty sammelte Informationen und half Leuten dabei, zu verschwinden, so viel hatte er aus Erzählungen des Lords herauslesen können. Und mit der ruhigen Lage und dem Zustand des Hauses war es nicht schwer, eins und eins zusammenzuzählen. Das hier war ein Safehouse.
Das gab ihm einen weiteren Ansatzpunkt.
„Ich habe mich auch schon mal in London vor jemandem verstecken müssen, war aber nicht an so einem ruhigen Ort wie hier.“
Für einen Moment dachte er, es hätte nicht geklappt, bevor doch eine Antwort kam.
„Ach ja? Wo dann?“
„Im Rotlichtviertel.“
Jemand lachte hinter der Tür. Inzwischen ging Ade davon aus, dass sein Gegenüber zumindest physisch wahrscheinlich männlich war. Die Stimme passte eher dazu.
Wieder klackerte die Tastatur. Ade hatte keine Ahnung, ob irgendwelche Informationen über ihren Aufenthalt in der Matrix zu finden waren. Das hatte er immer Shadowbyte, dem Decker seines Teams, überlassen. Aber es schien zu funktionieren. Solange der Fokus auf ihm lag, hörte ihm sein Gegenüber wenigstens zu und damit konnte er Vertrauen aufbauen.
Sollte der Mann Informationen finden, wusste er außerdem direkt, dass Ade die Wahrheit sagte. Und wenn nicht, dann wusste Ade wenigstens, dass es nichts zu finden gab.
„Sie sind doch Decker, oder?“
Die Geräusche stoppten.
Am liebsten hätte er die Stirn gegen die Tür geschlagen. Anfängerfehler.
Er musste seinem Gegenüber erst erklären, dass er nicht gefährlich war, bevor er Fragen stellen konnte, verdammt.
„Ich bin Magier. Technik ist so gar nicht meins.“ Vielleicht konnte er wenigstens die Aufmerksamkeit wieder auf sich ziehen und sein Gegenüber ablenken.
„Kannst du’s beweisen? Dass du Magier bist?“
Ade klopfte sich innerlich auf die Schulter. Anscheinend hatte er also doch nicht ganz versagt.
„Klar.“ Er überlegte eine Sekunde.
Es bot sich an, eine Illusion als Beweis zu nehmen. Das war am ungefährlichsten. Aber er konnte nur flache Objekte unter der Tür hindurch schieben, solange er keinen Blickkontakt hatte und so viele flache, eindeutig magische Objekte fielen ihm spontan nicht ein. Tarotkarten halfen einer mundanen Person nur wenig und ohne magische Aura konnte man sie auch für Spielzeug halten.
„Es wird gleich eine Eule durch die Tür kommen. Sie wird ihnen nichts tun. Das ist einer meiner Watcher.“
Technisch gesehen waren Watcher ein Ritual, aber er benutzte sie oft genug, dass er den Prozess fast genauso schnell wie einen Zauber durchlaufen konnte. Er nahm eine kleine Alu-Pfefferminzdose aus seiner Jackeninnentasche. Daraus entnahm er ein Tütchen Eisenpulver, eine winzige Phiole Meerwasser, getrocknete Blüten, und Vogelfedern.
Mit schnellen Bewegungen verteilte er sie auf dem Boden. Das Muster des Zaubers war ein einfacher Kreis mit drei weiteren darin, in dem sich die Zeichen für Erzeugung, Seele und Geist befanden. Er malte sie in den Staub am Boden und zog danach Mana aus der Luft.
Anstatt das Mana wie bei normalen Zaubern zu seinem Kopf zu leiten, leitete er es diesmal durch seinen Arm. Die Muskeln an seinem Oberarm zuckten, als die Energie hindurchfloss und gezielt wieder durch seine offene Handfläche hinaus in das Ritual wanderte.
Staub und violetter Rauch wirbelten in der Mitte des Kreises auf und formten eine kleine flauschige Kugel mit Augen. Der einzige Anhaltspunkt, dass es sich bei dieser Form um eine Eule handeln sollte, war der winzige Schnabel in der Mitte.
„Meister?“
Ade nickte zu dem Raum. „Geh bitte durch die Tür in das Zimmer.“
Der Watcher quiekte und drehte sich zur Tür. Seine Flügel waren zu klein zum Fliegen, also hüpfte er durch die Tür und verschwand.
Die Stimme von innen zischte. „Was zum Teufel…?“
Ade lachte leise, während er wartete, ob es geklappt hatte. Er steckte seine Reagenzien-Dose wieder ein und setzte sich erneut vor die Tür.
Schritte kamen in seine Richtung, aber noch öffnete sich die Tür nicht.
Die Stimme klang jetzt klarer. „Ich brauche ein paar Infos.“
Wer brauchte das nicht in den Schatten.
Ade antwortete. „Ich habe ihnen schon einiges an Informationen gegeben. Gibt es etwas Genaues, was Sie wissen wollen?“
„Kommt drauf an, du bist angeblich nur Paketlieferant, ja?“
„Korrekt.“
„Warum dann der Aufwand? Warum schickt man einen verdammten Magier her, hm? Ist das nicht recht viel Mühe, um ein einfaches Paket abzugeben, von dem ich nicht mal weiß, was da drin sein soll?“
Ade blinzelte. „Sie wissen nicht, was drin ist?“
„Hab ich doch grad gesagt.“
Damit hatte er nicht gerechnet. Warum würde der Lord ein Paket ausliefern lassen, unter solchen Auflagen, wenn der Empfänger nicht mal wusste, dass es kam?
Ade überlegte. „Soll ich es aufmachen? Mein Auftraggeber hat mir nur gesagt, dass ich es ihnen bringen soll. Wenn sie Angst haben, dass es etwas Gefährliches enthält, kann ich ihnen anbieten reinzuschauen.“
Die Stimme nahm einen misstrauischen Ton an. „Und warum würden Sie das für mich machen?“
„Weil ich meinem Auftraggeber vertraue.“
Vielleicht war das zu viel Information, aber Ehrlichkeit hatte bisher gute Wirkung gezeigt.
„Na gut.“ Schritte entfernten sich von der Tür. „Machen sie es auf.“
Und plötzlich war er sich doch nicht mehr ganz so sicher, ob der Lord ihm nicht doch etwas Gefährliches gegeben haben könnte. Er schüttelte den Gedanken ab. Der Lord mochte zwar gut darin sein, anderen etwas vorzuspielen, aber auch wenn Ade es ungern zugab, war er doch ein verlässlicher Mann. Wenn etwas Gefährliches in dem Paket steckte, hätte er ihn gewarnt. Er war nicht der Typ, der seine Angestellten oder Komplizen ins offene Messer rennen ließ.
Ade griff in seinen Rucksack und holte ein Skalpell aus seinem Medikit. Er hatte es aus reiner Nostalgie an seine Zeit als magischer Forensiker gekauft, als er sich das letzte Mal auf eine Mission vorbereitet hatte und auch wenn es für den Kampf komplett unbrauchbar war, kam es doch in Situationen wie diesen zum Einsatz.
Mit der größten Vorsicht, die er aufbringen konnte, schnitt er durch das Paket Klebeband. Die beiden oberen Seiten klappen auseinander wie ein geöffneter Brustkorb. Die Innereien bestanden aus jeder Menge Füllmaterial und Plastik.
Ade runzelte die Stirn und kramte den Inhalt des Pakets heraus.
Es handelte sich um eine durchsichtige Plastikpackung mit einer grünen Technik platte in der Mitte und zwei kleinen runden Gegenständen mit so etwas wie Antennen dran.
„Was zum Teufel?“
„Was?“ Die Stimme aus dem Raum meldete sich. „Was ist?“
Ade wusste selbst nicht, was er da vor sich hatte. Er war froh, wenn er zwei verschiedene Kommlink Modelle unterscheiden konnte. „Es ist … irgendwelche Technik? Ich hab ja gesagt, dass das nicht mein Ding ist.“ Vielleicht sollte er doch irgendwann einmal die Demütigung über sich ergehen lassen, Shadowbyte nach Nachhilfe zu fragen. Oder er fragte Flavio, der zwar definitiv der bessere Lehrer war, aber leider auch viel zu attraktiv dabei aussah, wenn er versuchte, Ade etwas beizubringen, als dass er sich konzentrieren konnte. Egal wie, seine Wissenslücke, was Technik anging, wurde langsam zu einem echten Problem.
„Hier sind so zwei kleine Geräte mit einer Antenne dran und eine viereckige Verpackung mit vielen Anschlüssen.“
Die Stimme zögerte. „Sieht es aus wie ein Tablet?“
Ade hatte keine Ahnung, ab welcher Dicke ein Gerät als Tablet galt oder ab wann es ein Klotz war. Das Teil auf seinem Schoß lag genau auf der Grenze.
„Ich denke eher nicht, aber es hat eine kleine eingebaute Tastatur.“
Ohne Vorwarnung knallte die Tür vor ihm auf.
Ein blonder Mann in fleckiger Cargohose und einem Pullover mit Kindermotiv streckte die Hand in nach ihm aus.
„Gib es her.“
4
Kabel schlängelten sich über alle Oberflächen im Raum. Die Fenster waren mit Brettern zugenagelt worden, sodass das einzige Licht von einer Gruppe zusammengesteckter Bildschirme her strahlte. Die meisten Geräte sahen aus wie jene, die Ade zu seiner Zeit in der Aachener Polizei Akademie gesehen hatte, aber das war auch schon über zwanzig Jahre her.
Der blonde Mann ließ sich auf einen platt gesessenen Bürostuhl fallen, der quietschte, als er sich drehte. Seine Augen beobachteten Ade immer noch misstrauisch, wanderten dann aber zu den Geräten in seinem Schoß.
Theoretisch war Ades Auftrag damit abgeschlossen. Er hatte das Paket erfolgreich an den Empfänger gebracht. Aber etwas sagte ihm, dass er besser bleiben sollte.
Vielleicht war es der ausgelaugte Zustand des Mannes, vielleicht war es die Art, wie seine Augen leuchteten, als er den Inhalt des Pakets betrachtete. Es erinnerte Ade an die Junkies, die er auf den Straßen Berlins kennengelernt hatte.
„Ist es… ist es so, wie es sein sollte?“ Anders wusste er auch nicht, wie er es ausdrücken sollte.
Der Mann stoppte, so als ob er jetzt erst realisierte, dass Ade überhaupt noch im Raum war. Er betrachtete ihn erneut misstrauisch von oben bis unten und blieb dann an Ades Jacke hängen.
Als er selbst nach unten blickte, bemerkte er, dass die Kante seines Waffenholsters darunter hervorschaute. Für jemanden, der nicht wusste, wie ein Schnellziehholster aussah, war es kaum bemerkbar, aber für jemanden mit starker Paranoia würde es reichen.
„Soll ich es abnehmen?“ Er senkte seine Stimme zu einem sanften Ton und hob vorsichtig die Hände.
Der Kopf des Mannes schnellte hoch zu seinem Gesicht. Er zuckte mit den Schultern, wohl bemüht, so zu tun, als wäre nichts. „Wenn du mich umbringen wollen würdest, wäre ich jetzt tot.“ Damit wandte er sich wieder seinem PC zu.
Ade entschied, dass er noch etwas bleiben würde. Zumindest bis Frosty zurück war, nur um sicherzugehen.
„Wie soll ich Sie nennen?“
Der Mann schaute ihn nicht mal an, während er den Plastikkasten vor sich auf dem Schreibtisch ablegte. „Euer Hochwohlgeboren. Aber Silencer tut es auch.“
Ade schmunzelte und nickte. Entweder sein Gegenüber versuchte, Selbstbewusstsein auszustrahlen, oder er taute tatsächlich etwas auf, wenn er Witze machen konnte.
Silencer betrachtete die Box, als hätte ihm Ade gerade einen Schatz überreicht. Je nachdem was es war, hatte er das vielleicht auch.
„Was für ein Teil ist das?“
Silencer drehte den Kopf zu Ade und warf ihm einen Blick zu, als ob er dumm wäre. Höchstwahrscheinlich dachte er das auch. „Was?“
Ade nickte zu den Gerätschaften. „Die Box. Was ist das?“
Silencer ignorierte seine Frage und nahm den Kasten stattdessen vorsichtig wieder an sich.
Hatte er etwas Falsches gesagt? Ade konnte nicht erkennen, inwiefern die Frage Silencer unruhig gemacht haben könnte. Er studierte aufmerksam sein Gesicht.
„Ich werde es ihnen nicht wegnehmen, wenn Sie das denken. Wie gesagt, ich bin Magier. Was soll ich damit?“
Silencer entspannte sich ein wenig, was er als gutes Zeichen nahm.
Ade zuckte bewusst entspannt mit den Schultern. „Ich war nur neugierig.“ Diesmal nahm er bewusst auf dem Boden Platz, um sich seinem Gegenüber visuell unterzuordnen.
Silencer antwortete wieder nicht. Stattdessen zog er einen Kommlink aus der Hosentasche und tippte auf den Geräten mit den Antennen herum. Eins nach dem anderen ging er die Lieferung durch.
Erst tippte er auf dem Computer herum, dann klickte er wieder an dem Kasten herum. Es sagte Ade absolut gar nichts.
Er nutzte stattdessen die Zeit und betrachtete den Raum.
Ramen Nudeln und Energy Drinks standen auf einem Nachttisch und neben einem löchrigen Sitzsack. In der Ecke des Raumes stand ein Bett mit jeder Menge Decken und Kissen darauf. Es erinnerte an ein Vogelnest. Ein längliches Kissen lag in der Mitte des Deckenberges. Auf dem Bezug prangte das gleiche gelbe Pferd mit der rosa Mähne, was Silencer auf seinem Pullover trug.
„Hat sie einen Namen?“
Silencer blickte überrascht von seinem Kommlink auf und folgte Ades Blick. Seine Augen weiteten sich, als er realisierte, was Ade meinte, aber er antwortete nicht.
Ade zuckte mit den Schultern. „Ist süß.“
Silencer nickte. „Ihr Name ist Fluttershy.“
„Schöner Name.“
Er bekam erneut einen misstrauischen Blick von Silencer. Als er bemerkte, dass Ade es ernst meinte, entspannte er sich wieder etwas. Stattdessen schaute er wieder auf die kleine Box in seinen Händen. „Gab es dazu noch ein Kabel?“
„Was?“
„Ein Kabel. Da muss ein Kabel mit dabei sein. In dem Paket gab es keins“, Silencer räusperte sich und griff nach einer Dose Energy Drink auf seinem Schreibtisch. „Ich kann es auch ohne Kabel benutzen, aber das ist… unangenehm.“
Auch wenn Ade sich nicht vorstellen konnte, wie Technik unangenehm sein konnte, hinterfragte er es nicht.
Flavio litt an einer magischen Abhängigkeit für einen Zauber, der ihm erlaubte weniger schlafen zu müssen. Ade bekam Kopfschmerzen von zu viel Manafluss. Wenn Magie unangenehm sein konnte, dann konnte Technik das sicher auch. Und jedes Mal, wenn Shadowbyte sich in der Matrix einloggte, sah er auch nicht anders aus als ein Magier, der astral projizierte.
„Kann man nicht von den Kabeln hier irgendeins nehmen?“ Immerhin lagen genug herum.
Silencer schüttelte den Kopf. „Nein, nein, das sind alles die falschen Anschlüsse.“ Er fluchte leise vor sich hin. „Ich kann das Teil benutzen ohne Kabel, aber nicht für lange. Es ist schon etwas älter.“
Ade nickte. „Dann besorg ich ihnen eins.“
Silencer machte große Augen. „Was?“
Ade zuckte mit den Schultern. „Ich besorg ihnen eins. Mein Auftrag ist vorbei und ich habe noch etwas Zeit, bis ich mich zurückmelden muss. Sie können das Haus nicht verlassen, richtig? Ich besorg ihnen eins.“
Silencer nickte langsam, sagte aber nichts.
„Also“, Ade stand auf. „Was für ein Kabel brauchen Sie?“
5
Wie konnte es eigentlich sein, dass die Auswahl an Kabeln in einem Elektronikladen schwerer zu verstehen war als Meta-menschliche Anatomie?
Ade hatte nie verstanden, wie es sein konnte, dass sich derart komplexe Geräte nicht nur über die gesamte Welt ausgebreitet hatten, sondern dass so viele Personen sie auch noch täglich benutzten.
Innerhalb der letzten dreißig Minuten hatte er es geschafft, von Hunderten Optionen an Kabeln die Auswahl auf drei herunter zu brechen. Und trotzdem konnten alle drei das gesuchte Kabel sein.
Es machte ihn nervös, dass er das Safehouse für so lange verlassen hatte, obwohl das überhaupt nicht zu seinen Aufgaben gehörte. Trotzdem gefiel es ihm nicht. Die einzigen beiden Personen, die er angetroffen hatte, sahen vollkommen unqualifiziert aus, sich physisch zu verteidigen. Und er würde es sich definitiv nicht verzeihen können, wenn etwas passierte, während er vor dieser dummen Kabelwand verzweifelte.
Er nahm einen tiefen Atemzug ein und aus. Darüber nachzudenken half ihm auch nicht weiter. Warum gab es keinen eindeutigen Hinweis auf der Packung?
Wo lag bitte der Unterschied zwischen Extra, Ultra und Megaschnell? Und war das relevant für Silencer? Was bestimmte, ab wann es für ihn unangenehm wurde?
Er legte das Kabel auf dem „Extra schnell“ stand beiseite. Die anderen beiden Optionen hörten sich auf jeden Fall schon einmal besser an, aber ob schneller auch besser bedeutete, konnte er nicht sagen.
Mit einem Seufzer gab er sich geschlagen. Wenigstens war er schlau genug gewesen, um sich von Silencer die exakte Anschlussform zeigen lassen, bevor er aufgebrochen war.
Er schickte ein mentales Bild davon an Omar, seinem Pakt-Geist, mit der Bitte, es an Flavio weiterzuleiten. Darauf folgte noch eins von der Kabelwand und dann ein Bild von einem Blatt Papier mit einem Fragezeichen darauf.
Auch wenn es überhaupt erstaunlich war, dass Omar es ihnen ermöglichte, von England bis nach Tir na nÓg über Bilder zu kommunizieren, wünschte er sich manchmal, dass sie einfach normal miteinander reden konnten. Sie hatten inzwischen ihre eigene kleine Sprache entwickelt mit abgesprochenen Bedeutungen, aber es war immer noch nicht das Gleiche und er war mit normaler Sprache und Technik schon genug überfordert.
Omars Präsenz glitt durch seinen Körper und das Bild eines digitalen Fragezeichens setzte sich in seinem Kopf zusammen.
Er schickte erneut das Bild des Anschlusses und dann sein Blickfeld mit beiden Kabeln in den Händen.
Einige der Angestellten schauten ihn bereits misstrauisch an, immerhin starrte er seit bestimmt fünf Minuten die Kabel in seinen Händen sehr intensiv an. An ihrer Stelle wäre er auch misstrauisch gewesen.
Flavio schickte ein Bild von seinem Vorlesungssaal zurück. Also unterrichtete er gerade. Wunderbar.
Ade steckte beide Kabel ein. Sein Missionsbudget würde das schon hergeben. Dann musste sich Silencer eben aussuchen, was er wollte.
Er war gerade zu seinem Motorrad zurückgekehrt, als das Visier seines Helms einen Anruf vom Lord ankündigte.
„Was gibts, Hoheit?“ Er setzte den Helm auf und startete die Maschine.
„Hast du das Paket schon abgegeben?“
Ade reihte sich in den Londoner Verkehr ein, während er sprach. „Ja, aber es hat ein Teil gefehlt. Sil-…die Zielperson meinte, sie bräuchte noch ein Kabel, also bin ich losgefahren und habe eins besorgt.“
„Hervorragend.“
Ade blinzelte überrascht. Der Lord sprach überaus oft Lob aus, verglichen mit seinen bisherigen Vorgesetzten, aber so dringend war das Kabel jetzt auch wieder nicht oder doch?
Der Lord redete hastig weiter. „Heißt das, du bist noch in London?“
„Ja, ich fahre gerade zum Zielort zurück. Warum?“
Der Lord überlegte einen Moment. Ade nutzte den Moment, um die Spur zu wechseln.
„Sag der Zielperson, sie soll das Cyberdeck anschließen, euch abschirmen und mich dann zurückrufen. Es ist dringend. Fahr schneller, wenn du das kannst, aber fall nicht auf.“
Ade murmelte ein. „Yes, Sir.“ Er verzog angewidert das Gesicht, als ihm der alte Aresspruch von der Zunge rutschte.
Glücklicherweise ging der Lord nicht weiter darauf ein.
„Beeil dich.“
6
„Silencer!“
Der Mann am PC zuckte zusammen, als Ade in den Raum stürmte.
Er kramte die Kabel aus der Tasche und warf sie auf den Schreibtisch. „Es gibt ein Problem. Schließ das Teil an und bau einen Schirm auf.“
Silencer zog eine Augenbraue in die Höhe. „Das Teil? Einen Schirm?“
War das nicht der Ausdruck, den der Lord benutzt hatte? „Wir müssen jemanden anrufen. Kannst du dafür sorgen, dass es nicht zurückverfolgbar ist?“
„Klar. Sag das doch gleich.“ Silencer leckte sich nervös über die Lippen. „Aber du musst dich umdrehen, wenn’s schnell gehen soll.“
Zwar verstand Ade nicht wofür, aber so eilig, wie der Lord geklungen hatte, gab es keine Zeit, um groß zu diskutieren. Er wandte Silencer den Rücken zu und ließ ihn seinen Kram machen.
Hinter ihm erklang das Klackern der Tastatur. Keine Minute später meldete sich Silencer erneut. „Fertig.“
„Komplett?“
„Ja.“
Das war schnell. Dinge geschahen in Sekunden in der Matrix, das wusste er, aber Silencer war nicht in der Matrix gewesen. Seine Hände hatten sich bewegt.
So langsam hatte Ade eine Vermutung, warum Silencer paranoid war. Er hatte schon von Anfang an gedacht, dass Silencers Verhalten ihn an jemanden erinnerte und plötzlich wusste er auch an wen. Exseo, ein Technomancer, den er vor Ewigkeiten im Aachener Polizeipräsidium getroffen hatte, war ähnlich sprunghaft gewesen.
„Danke.“
Er drehte sich zu Silencer zurück. Ob er recht hatte, musste er nicht bestätigen. Für Silencers Sicherheit war es wahrscheinlich besser, wenn er es nicht genau wusste. „Was muss ich an meinem Kommlink noch einstellen?“
„Nichts. Hab mich schon drum gekümmert. Dein Kommlink ist nicht sonderlich gut. Du solltest dir vielleicht mal einen Neuen zulegen. Wäre zu schade, wenn jemand dieses eine Bild von dem Schönling mit den Locken gegen dich verwenden würde.“ Während Silencer redete, beobachtete er Ade die gesamte Zeit, als ob er auf etwas wartete. Seine Hände lagen als Fäuste in seinem Schoß.
Ade schürzte die Lippen, sagte aber nichts. Er wählte die Nummer des Lords.
Silencers Hände öffneten sich leicht.
Sobald der Lord ran ging, schaltete Ade ihn auf Lautsprecher.
„Merkur hier. Ihr wolltet,…Sie wollten uns sprechen?“ Es kostete Ade mehr Willensstärke als erwartet, den Lord nicht mit seinem Titel anzusprechen. Auch wenn sie sich oft nicht einig waren, war das eine Grenze, die er bisher noch nicht überschritten hatte.
„Frosty steckt in Schwierigkeiten.“
Ade erstarrte.
Neben ihm setzte Silencer sich gerade auf.
Der Lord redete weiter. „Ein zweiter Van sollte Zielpersonen abholen, aber irgendein Konzernler war wohl gechippt. Ich versuche noch herauszufinden, an wen das Signal geht, aber das dauert. Die Zielpersonen mussten Fahrzeuge wechseln und jetzt ist Frosty allein unterwegs. Sie versucht, das Konzernteam abzuschütteln. Ich will, dass ihr alle Leute aus dem Safehouse evakuiert. Wir wissen noch nicht, wer dahinter steckt, aber wir können nicht Gefahr laufen, dass sie erfahren, wo sich das Haus befindet.“
Die ungerichtete Anspannung, die in den letzten Stunden durch Ades Nerven geströmt war, wallte auf, bevor sie sich auflöste. Ruhe, wie er sie dem Morgen nicht mehr gespürt hatte, breitete sich in seinen Gliedmaßen aus. Seit er nach seiner letzten großen Mission Aztech erfolgreich entkommen war, verfolgte ihn das konstante Gefühl, dass jederzeit die nächste Katastrophe losbrechen würde, aber jetzt, wo es tatsächlich brannte, verschwand diese Anspannung komplett.
Er brauchte zuerst Infos. „Über wie viele Leute sprechen wir? Ich habe bisher nur zwei Personen gesehen.“
Der Lord antwortete. „Weiß ich nicht, aber meiner Kenntnis nach war Frosty ziemlich beschäftigt in letzter Zeit.“
„Wir haben keinen Fluchtwagen hier“, Ade fluchte. „Ich habe nachgesehen und der nächste Verleih ist eine ganze Weile weg.“
„Silencer, richtig?“, fragte der Lord.
Dieser zuckte zusammen, als sein Name fiel. „Ja? Wer fragt?“
„Hier spricht Saphire. Kommst du in einen Transporter rein und kannst du fahren?“
Silencers Augen weiteten sich. Er wandte sich zu Ade. „Warum hast du mir nicht gleich gesagt, dass Saphire das Paket geschickt hat? Den kennt doch jeder.“
Ade rollte mit den Augen, ignorierte den Kommentar aber ansonsten, um das Ego des Lords nicht noch mehr anzufachen. Das brauchten sie gerade nicht.
„Der Fluchtwagen.“
Silencer schluckte. „In einen rein zu kommen ist leicht, fahren kann ich auch, aber bei ’ner Verfolgungsjagd hört’s auf.“
Der Lord murmelte etwas auf Walisisch, was wie ein Fluch klang.
Ade schaltete sich auch dazwischen. „Und ich kann keine Fahrzeuge verstecken. Daran arbeite ich noch.“ Es war komplexer, ein Fahrzeug statt eines Lebewesens mit einem Zauber unsichtbar zu machen. Er musste dafür die normale Zauberformel komplett umschreiben und bisher hatte er sich davor gedrückt. „Was ist, wenn wir Frosty unterstützen gehen? Dann gerät das Safehouse gar nicht erst in Gefahr.“
„Was?“ riefen der Lord und Silencer gleichzeitig.
Ade sprach weiter. „Selbst wenn Saphire uns nicht unterstützen kann, haben wir immer noch einen Decker, zwei Vollmagier und mindestens eine Person in Frostys Wagen, die sich im Notfall mit einem Schwert verteidigen kann. Damit kommt man ziemlich weit.“ Er musste es wissen. Sein reguläres Runnerteam besaß den gleichen Aufbau. „Ich fahre und lenke die Verfolger ab. Frosty kann sie mit Zaubern abschießen und Silencer kann über meinen Kommlink Geräte im Umfeld finden und ausschalten, richtig?“
Silencer verzog das Gesicht. „Das ist nicht ganz, wie es funktioniert, aber ich kann das schon so ähnlich machen, ja.“
Ade nickte. „Wenn es zum Stillstand kommt, kann Frosty sie hinhalten, bis ich die Zielpersonen unsichtbar machen kann. Es ist aggressiver, als von hier wegzurennen, aber es spielt mehr in unsere Stärken. Damit haben wir mehr Optionen, wenn etwas schief geht.“
Saphire schwieg am anderen Ende des Kommlinks. Silencer schien ebenfalls nicht zu wissen, was er sagen sollte.
„Ja oder nein? Es ist dringend oder nicht?“
Der Lord seufzte. „Das ist eine furchtbare Idee.“
7
„Irgendwie klang der Plan in der Theorie besser.“
Silencers Stimme schallte blechern durch Ades Helm, während er auf die Schnellstraße nördlich von London abbog.
„Was stört dich daran?“ Sein AR-Display meldete, dass sie Frostys Position näher kamen. Ade schaltete in den höchsten Gang, den sein Motorrad hergab und hoffte, dass es reichte.
„Ich weiß nicht, der Punkt, dass wir uns mit einem unbekannten Konzern Team anlegen, von dem wir weder wissen, wie gut sie ausgestattet sind, noch wie groß es ist?“ Silencer schien jetzt, wo sie über Funk kommunizieren, plötzlich mehr Selbstsicherheit gefunden zu haben.
Ade schmunzelte. „Erstes Mal?“
„Okay, erstens…“
„Ad-…Merkur, sie sind direkt vor dir.“ Schaltete der Lord sich dazwischen. „Du musst die Abzweigung nehmen und auf die untere Fahrbahn kommen. Sobald ihr in der Nähe seid und Silencer nah genug dran ist, werde ich mich rausziehen und das Signal verfolgen.“
„Verstanden. Weiß Frosty, dass wir kommen?“
Saphire seufzte. „Ja, aber sie ist nicht glücklich darüber.“
Ade rollte mit den Augen und zog auf die andere Spur. „Sie wirkt nicht wie eine Person auf mich, die sich jemals über die Präsenz anderer Leute freut.“
Silencer lachte leise am anderen Ende.
Die Straße führte von einer höher gelegten Schleife auf eine breite Fahrbahn. Rechts und links davon gab es nichts weiter als Felder, so weit das Auge reichte.
Direkt hinter der Kurve wurde sofort klar, auf welche beiden Fahrzeuge Ade sich konzentrieren musste.
Zwei Vans fuhren so dicht hintereinander, dass sie bei einer Bremsung sofort einen Unfall verursachen würden. Der vordere hatte bereits Beulen im silbernen Lack und ein gesplittertes Fenster, während der schwarze Wagen dahinter noch nicht einen Kratzer aufwies.
Andere Fahrzeuge hielten respektvollen Abstand und Ade konnte es ihnen nicht verübeln.
„Silencer kannst du sehen?“
„Ja, der Helm hat ‘ne Kamera.“ Silencer klang nicht mehr ganz so sicher wie eben noch. „Sag mal, wie soll das eigentlich aussehen, wenn du vom Motorrad fliegst? Wär schlecht für den Plan, hm?“
„Ich kann mich abfangen. Was den Plan angeht, sehen wir dann. Konzentrieren wir uns einfach darauf, dass es nicht so weit kommt.“
Er nutzte den Moment und schob mental zwei einfache Kreise ineinander. In der Überschneidung platzierte er das Zeichen für Körper und Quecksilber, bevor er so viel Mana, wie er konnte, in die Formel leitete.
Zeit um ihn herum verlangsamte, wie jedes Mal, wenn er seine Reflexe steigerte. Dann war der Moment vorbei und alles lief weiter, als wäre nichts gewesen.
„Ich habe eine lokale Verbindung“, meldete sich Silencer. „Schalte Frosty zu.“
Frosty fauchte sofort ins Mikro. „Was macht ihr hier? Wir haben schon genug Probleme.“
Fast hätte Ade gelacht. „Sehr erfreut. Wir können die Verfolger ablenken, aber ihr seid zu nah dran.“
Um eine Illusion zu benutzen, reichte es, wenn er Blickkontakt zu dem Fahrzeug hatte, aber so nah wie beide hintereinander fuhren, konnte er nichts Größeres benutzen, ohne Frostys Fahrzeug ebenfalls abzulenken.
Frosty kam direkt zur Sache. „Kümmert euch um die Drohnen. Wir haben keinen Decker an Bord und das sind so kleine Viecher, die bekomme ich mit einem Zauber nicht runter.“
Ade konnte keine Drohnen ausmachen, obwohl er jetzt fast parallel hinter den beiden Fahrzeugen fuhr.
„Was zum Teufel sind das denn für Dinger?“, meldete sich Silencer. „Hier sind so ein paar Insekten große Teile unterwegs. Ich kümmer mich drum. Merkur, bleib auf deiner Position, damit ich Zugriff habe.“
Wenn Frosty den neuen Runnernamen bemerkte, sagte sie glücklicherweise nichts dazu.
„Wisst ihr inzwischen, wer das Signal sendet?“ Frostys Stimme war nur ein Flüstern. Das Mikro nahm es kaum auf. „Saphire sagte nur, es ist ein Chip.“
„Achtung!“ Silencer schrie ins Mikro.
Die Verfolger machten ohne Vorwarnung einen Satz nach vorn und rammten Frostys ohnehin schon verbeulten Wagen. Die Stoßstange bekam eine weitere Delle und das schlingerte leicht.
„Drek.“ Fluchte Frosty.
Der schwarze Wagen setzte erneut an.
Ade formte mental die Kreise für einen Chaoszauber und aktivierte ihn.
Der schwarze Van schlingerte und versuchte, wieder auf eine gerade Spur zu kommen, während „Chaotische Welt“ die Sensoren des Fahrzeugs mit Massen an Signalen überflutete.
„Versucht, die nächste Ausfahrt zu nehmen!“, schrie Ade.
Der Nachteil des Zaubers war, dass er jedes Mal unterschiedlich viel Mana verbrauchte.
Ades Kopf rauschte und er wusste nicht, ob es die Größe des Zaubers selbst oder unerwartet heftiger Entzug war, der ihm kurz die Orientierung nahm.
Er vertraue darauf, dass Frosty wusste, wie eine Chance aussah.
Sie setzte auf Ades Spur rüber, doch im gleichen Moment fasste sich der schwarze Van ebenfalls wieder.
„Was…?“ Chaotische Welt verpuffte und Ade fluchte. Das Mana strömte noch immer durch seine Nerven, der Zauber war also noch aktiv. Jemand musste ihn geblockt haben.
„Die haben ‘ne Magierin dabei. Schirmt den Wagen ab“, zischte Frosty. „Hab sie schon gut beschäftigt, aber durch den Schild kommt kaum was durch.“
Fahrzeuge im Umkreis entfernten sich von den kämpfenden Vans und ließen Ade ohne Sichtschutz. Sein Hinterkopf begann zu kribbeln und ein eiskalter Schauer jagte ihm über den Rücken.
„Ich wurde askennt. Sie wissen, dass ich das war!“
„Drek!“ kam von Frosty.
Ade wollte gerade den Mund aufmachen, als er eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm.
Ein Seitenfenster des Vans rollte nach unten und gab die Sicht auf eine Pistole frei. Sie zeigte auf ihn.
Er hatte es einzig und allein seinen gesteigerten Reflexen zu verdanken, dass er rechtzeitig zauberte. Projektilabwehr flammte um ihn herum auf, aber die Ausführung war nicht sauber. Der durchsichtige Schild hatte Löcher. Er musste darauf vertrauen, dass es schwer genug war, ihn überhaupt zu treffen.
Sämtliche restliche Fahrzeuge um sie herum fielen nach hinten weg, als die Schüsse ertönten.
„Fuck! Frosty, mach, dass du wegkommst! Ich versuch’ sie abzulenken!“
„Bist du bescheuert!“, schrie Silencer ins Mikro. „Mach, dass du da wegkommst!“
Aber dann würden sie sich wieder auf Frosty konzentrieren. Solange sie mit ihm beschäftigt waren, konnte Frosty vielleicht abhauen. Und wenn er nicht zaubern konnte, gab es immer noch seine Pistole.
„Silencer, kannst du das Motorrad übernehmen?“
„Was?“
„Ich kann nicht schießen und fahren. Übernimm das Steuer und fahr geradeaus!“
Einen Augenblick später ruckelte das Motorrad unter ihm und Ades Herz setzte aus. War ein Reifen getroffen?
Der Lenker bewegte sich unter ihm von alleine, hielt aber die Spur.
„Alter, das war nicht Teil des Deals!“
Darüber konnten sie sich später streiten.
Eine neue Runde Schüsse ertönte und verfehlte ihn gerade so. Ade zog seine Pistole und zielte auf das Fenster. Ein Sonnenstrahl fiel hinein und zeigte das Gesicht einer Frau mit wilden, dunkelbraunen Haaren.
Er zielte und drückte ab.
Sein Schuss ging daneben, aber die Frau zog sich vom Fenster zurück. Im nächsten Moment erschien sie aber erneut und zielte.
Ade setzte eine zweite Projektilabwehr hinterher. Diesmal formte sich die Barriere vollständig. Die Manaflut vom Schnellzauber brannte durch seine Nervenbahnen und nahm ihm den Atem. In seiner Hintertasche befanden sich Stim-Patches, aber so schnell kam er da nicht dran.
Die Straße verschwamm vor seinen Augen. Wenn Silencer nicht steuern würde, wäre es das gewesen.
Ein anderer Gewehrlauf erschien am Fenster, bevor er sich wieder zusammenreißen konnte, aber ein weiterer Schnellzauber war nicht drin.
Vor dem schwarzen Van explodierte ein Manablitz.
Ade schaute überwacht nach vorn.
Anstatt die Ausfahrt zu nehmen, fuhr Frosty immer noch voran. Irgendjemand anderes musste das Steuer übernommen haben, denn Frostys eisblaue Haare wehten seitlich aus dem Fahrzeug hervor. Sie hatte direkten Blickkontakt mit dem Van.
Ein weiterer Manablitz flog ihre Richtung.
„Alter, fall mir jetzt nicht vom Motorrad“, fluchte Silencer. „Das brauch ich jetzt echt nicht auch noch.“
„Ich geb mir größte Mühe.“ Ade riss sich zusammen. Sie mussten aus Schussweite gelangen, selbst wenn es die Aufmerksamkeit wieder auf Frosty lenken würde. Noch einen Kugelhagel würde seine Projektilabwehr nicht mitmachen.
Er übernahm wieder das Steuer und ließ sich zurückfallen. Seine Schläfen pochten, seine Nervenbahnen brannten. Lange konnten sie das nicht mehr mitmachen.
Warum hatte Frosty nicht einfach die Ausfahrt genommen?
Es gab keine Zeit, darüber nachzudenken.
Demnächst würden auch Sicherheitseinheiten eintreffen. Eine Schießerei auf offener Fahrbahn war selbst auf dem Land ein Risiko.
„Wir können das Auto nicht hart genug mit Magie treffen. Silencer kannst du was machen?“
„Was soll ich bitte tun? Die sind genauso abgeschirmt. Außerdem sollte ich echt nicht in die Matrix! Ich versteck mich aus ‘nem Grund!“
Ade überlegte nicht lang. Wenn sie mit zwei Vollmagiern nicht weiterkamen, war das nicht der Weg. „Was brauchst du, um ran zu kommen?“
„Was?“
„Was brauchst du, um das Fahrzeug zu übernehmen?“
„Einen physischen Zugang oder so.“
„Ok, ich besorg dir einen.“ Ade beschleunigte erneut.
„Wie willst du das bitte machen? Du müsstest in den Wagen kommen!“
„Magisch abschirmen hilft nur, wenn ich auf den Wagen zauber, nicht aber auf mich!“
„Was hat das mit irgendetwas zu tun?“
Egal wer die Verfolger waren, sie hatten eine Schießerei auf offener Straße angefangen und gaben immer noch nicht auf. Entweder sie hielten den Wagen auf oder er würde Frostys alte Karre früher oder später von der Straße holen. Und wenn ihre Verfolger schon keine Rücksicht auf der Straße zeigten, dann würden sie auch keine Gnade kennen, sobald sie ihr Ziel in Gewahrsam hatten. Auch wenn er sich irren konnte, wollte er es nicht darauf ankommen lassen.
„Sag Frosty, sie soll aufhören, zu feuern, und übernimm dann wieder das Steuer!“
Silencer fluchte, aber tat wie geheißen. Sobald Ade merkte, dass das Lenkrad unter ihm von alleine die Bahn hielt, nahm er die Hände vom Lenker und kramte zwei Stim-Patches aus der Tasche. Eins klebte er sich direkt an die Seite vom Hals.
Das Gefühl, das irgendetwas seinen Hals berührte, jagte einen Stoß Panik durch sein System, aber viel machte das jetzt auch nicht mehr aus. Außerdem war die Hauptschlagader die beste Stelle, um den Chemiecocktail schnell in die Blutbahn zu bekommen.
Er klebte das zweite Stim-Patch zur Hälfte unter den kleinen Bereich zwischen Handschuhen und Jacke. Es würde sich erst aktivieren, wenn die Metallspitzen in der Mitte mit Luft in Kontakt kamen, also konnte er es später aktivieren. Hoffentlich würde er es einfach nicht brauchen.
„Frosty, ich versuche irgendwie, in den Wagen zu kommen. Hau diesmal echt ab!“
„Bist du bescheuert?“
„Ich nehme alternative Vorschläge an, aber Wegfahren alleine bringt nichts. Verschwindet!“
Wie er aus der Situation wieder rauskommen sollte, wusste er noch nicht, aber das würde er entscheiden, wenn es so weit war.
Er rief sich seine altbekannte Illusionszauberformel in den Kopf und machte sich unsichtbar. Wenigstens musste er bei dem Fahrtwind nicht darauf achten, möglichst leise zu sein.
Flavio würde ihn umbringen, wenn er das hier überlebte.
Seine Nervenbahnen fühlten sich wund an, während er so viel Mana, wie er konnte, in seinem Körper ansammelte.
Ein Stoßzauber gegen den Boden und er segelte durch die Luft.
Für eine furchtbare Sekunde war er überzeugt, dass er sich verkalkuliert hatte. Er würde auf dem Asphalt aufschlagen.
Seine gesteigerten Reflexe setzten ein und eine Stimme aus ferner Vergangenheit säuselte in seinem Kopf. „Magie ist ein natürlicher Vorteil in allem.“
Er landete auf dem Dach des Vans und schüttelte die Erinnerung ab.
Der Wagen begann unter ihm zu schwanken.
Zuerst dachte er, dass Frosty ihn vielleicht doch erwischt hatte. Dann wurde ihm klar, dass der Fahrer ihn bemerkt hatte und nun versuchte, ihn abzuschütteln. Und damit hatte er ziemlich Erfolg.
Ade schlug hart auf dem Dach auf und konnte sich gerade so an einem Gitter auf der Oberseite festhalten. Die scharfen Kanten schnitten ihm selbst durch die Handschuhe in die Finger. Vielleicht wurde er zu alt für den Mist.
Endlich hatte Frostys Van durch die Aktion an Distanz gewonnen. Es lag jetzt ein guter Abstand zwischen ihnen beiden.
Vielleicht würde er nicht direkt in den Van reinkommen, aber er konnte etwas anderes probieren.
„Frosty gib so viel Gas, wie du kannst!“
„Wir haben kaum noch Sprit!“
„Nur für ein bisschen! Vertrau mir!“
Der Wagen unter ihm begann erneut Schlangenlinien zu fahren, um ihn runterzukriegen. Er hielt sich fest, so gut er konnte. Für die nächste Aktion würde er alle seine Energie brauchen.
Er löste eine Hand vom Gitter, um sein zweites Stim-Patch zu aktivieren. Der Wagen ruckte zur Seite. Er griff wieder nach dem Gitter. Keine Chance. Wenn er losließ, würde er fallen.
Und wenn er das Stim-Patch nicht aktivierte, würde er ohnmächtig auf einem fahrenden Van werden.
Der Wagen fuhr wieder gerade. Ade löste seine zweite Hand erneut vom Gitter, doch sofort begann der Fahrer das gleiche Manöver erneut. Ohne Vorwarnung schlingerte der Van mehr als zuvor.
Das Stim-Patch löste sich von seiner Haut und verschwand im Fahrtwind. Fuck.
Aufgeregte Stimmen drangen unter ihm hervor. Vor dem Wagen schlug ein neuer Manablitz ein. Wollte Frosty ihn umbringen?
Der Fahrer wich aus, aber die gesamte Karosserie wackelte.
Jetzt oder nie.
Der Wagen scherte zur Seite aus.
Ade biss die Zähne zusammen und streckte die Hand in Richtung Asphalt aus. Ein starker Stoß Zauber schnellte gen Boden und der Wagen stieß dagegen.
Er kippte.
Die Zeichen für Luft und Körper schwebten bereits geistig vor Ades Augen, als der Ruck ihn zu früh vom Dach riss. Seine Nerven weigerten sich, mehr Mana zu leiten, und Panik verwischte die Zauberformel vor seinem inneren Auge.
Er war zu langsam.
In einem letzten Versuch jagte er das restliche Mana in seinem Körper durch die Zauberformel.
Er bat Flavio, ihm zu vergeben.
Sein Körper schlug auf dem Feld neben der Fahrbahn auf.
8
Als er das nächste Mal zu sich kam, dröhnten Silencers und Frostys Stimmen durch seinen Helm.
„Ich kann nichts weiter machen, als das verdammte Motorrad weiter geradeaus fahren zu lassen. Ihn zurückzubringen ist keine Option und schon gar nicht, wenn dieses Ding in ihm steckt.“
Frosty seufzte. „Das Ding ist ein Geist. Und ich stimme dir zu, dass es nicht ideal ist, aber wir dürfen nicht mehr Beweise zurücklassen als ohnehin schon. Außerdem müssen wir immer noch den Chip loswerden und das können wir nicht im Safehouse.“
Ades Schädel pochte so stark, dass die Worte zusammenklebten. Das Licht einer alten Tankstelle stach ihm jedes Mal in die Augen, wenn er blinzelte und sein Magen rebellierte. Er brauchte keinen Diagnosezauber, um zu wissen, dass er eine Gehirnerschütterung hatte. Seine rechte Schulter und Arm waren taub und doch brannte alles drum herum. Er konnte sie kaum bewegen. Einer seiner Handschuhe fehlte komplett.
„Sind wir entkommen?“
Frostys Kopf drehte sich zu ihm. „Willkommen zurück, Idiot.“
„Merkur!“ Silencers Stimme dröhnte durch den Helm. „Du Vollidiot! Was war das denn? Wenn du mir noch mal so einen Herzinfarkt gibst, schick ich dir meine gottverdammte DocWagon-Rechnung!“
Ade lachte leise. Sein gesamter rechter Brustkorb stach bei jedem Atemzug, vielleicht eine Rippenfraktur.
„Dir auch hallo.“ Er schaute zu Frosty. „Geht es allen gut?“
Sein Blick wanderte zu ihrem Van. Die Türen waren geschlossen, aber es steckte ein Benzinschlauch in der Seite und pumpte. Ansonsten schien er nicht mehr Dellen zu haben als ohnehin schon.
Frost verschränkte die Arme. „Soweit ja. Wir sind entkommen. Deine dumme Aktion hat funktioniert.“
„Es ist nicht dumm, wenn es funktioniert hat.“ Ade lächelte müde. „Das Signal?“
Frosty schüttelte den Kopf. „Saphire hat versucht, es aus zu schalten. Dabei ist unser Ziel ohnmächtig geworden und als sie wieder aufgewacht ist, wusste sie von nichts.“
Ade runzelte die Stirn. „Was?“
Frosty schaute finster drein. „Ich hab schon von einigen dieser Fälle gehört. Leute werden ohnmächtig und vergessen, wer sie sind. Ich kenn ein Team, was sich damit beschäftigt.“
Ade nickte besorgt. „Geht es ihr ansonsten gut?“
Frosty zuckte mit den Schultern. „Scheint so. Wir werden sie untersuchen müssen, wenn wir hier weg sind. Kannst du fahren?“
Er sollte nicht fahren. Nicht mit einer aktiven Gehirnerschütterung und mehreren Verletzungen, aber so wie es schien, kam er hier sonst auch nicht weg.
„Passt schon. Ein Kaffee könnte vielleicht nicht schaden.“
Epilog
Ade setzte gerade einen Fuß in Silencers Raum, als dieser mit dem Finger auf ihn zeigte.
„Nein! Raus! Vergiss es!“
Ade blinzelte. Eigentlich hatte er sich bei Silencer bedanken wollen, aber dieser schien nicht daran interessiert zu sein. Was hatte er ihm bitte getan? Es konnte schlecht das erste Mal sein, dass er spontan und ohne Vorbereitung handeln musste, immerhin saß er in diesem Haus fest.
Oder hatte er damit vielleicht irgendwie Silencers Gefühle verletzt?
„Ich freue mich auch, dich wohlbehalten wiederzusehen.“ Er nahm sich einfach das Recht, Silencer zu duzen. Wenn jemand einem das Leben gerettet hatte, konnte man hoffentlich davon ausgehen, dass das gestattet war.
Silencer blickte ihn finster an. „Was war das für ein Teil? Was hat dich auf das Motorrad gehoben? Ich hab gesehen, wie du von nem verdammten Laster geflogen bist! Was wird hier gespielt?“
Das war also sein Problem. Ade hob vorsichtig die Hände und nahm wieder direkt auf der Türschwelle Platz in der Hoffnung, dass es Silencers Paranoia etwas beschwichtigen würde.
Seine rechte Seite strahlte so viel Schmerz aus, dass ihm der Atem in der Brust stecken blieb. Er kam nur bis zu den Knien, bevor er eine Pause machen musste.
Silencer beobachtete ihn die ganze Zeit über, sagte aber nichts.
Vorsichtig, wie in Zeitlupe, arrangierte er seine Gliedmaßen so, dass sie möglichst wenig wehtaten. Trotzdem stockte ihm jedes Mal der Atem, wenn er zu stark Luft nahm.
Vielleicht hätte er sich zuerst heilen sollen, bevor er irgendetwas anderes tat, aber seine Nervenbahnen fühlten sich immer noch wund an und kribbelten unangenehm bei der bloßen Vorstellung, direkt wieder Mana leiten zu müssen.
„Ich habe einen befreundeten Geist, der mir geholfen hat.“ Auffällige Pausen durchzogen seine Stimme beim Reden, aber damit würde er fürs Erste klarkommen müssen.
Silencer sah ihn noch immer misstrauisch an. „Deine Augen haben weiß geleuchtet, wie in so ‘nem Anime. Ich hab versucht, mit dir zu reden, aber du hast nichts gesagt.“ Er verschränkte die Arme. „Gern geschehen übrigens, dass ich dich bis zur nächsten Tankstelle gefahren habe, anstatt dich auf der Landstraße einfach stehen zu lassen, während du dir zu fein warst, mir zu antworten.“ Er stellte seine Stimme höher. „Gern geschehen Silencer, hier sind fünftausend Nuyen, als Zeichen meiner Dankbarkeit.“
Ade lachte. Feuer entflammte in seiner Seite und verwandelte das Geräusch in ein Husten.
„Auch wenn ich deine Hilfe sehr schätze, weiß ich ja nicht, ob das direkt fünftausend Wert ist beim ersten Run.“
„Hallo? Hab ich dir deinen Hintern gerettet oder nicht? Und das zwei Mal, wenn ich das anmerken darf.“
Silencer war jeden Nuyen wert, den er haben wollte. Ade hatte ihn nur ein wenig aufziehen wollen. Es tat gut, ihn zetern zu hören, wenn er noch vor ein paar Stunden komplett geschwiegen hatte.
Silencer redete weiter. „Außerdem ist das ziemlich großes Gerede, für ‘nen Runner, für den ich absolut keinen Straßenruf finden konnte. Sicher, dass das nicht dein erster Run war?“
Ade schnaubte. „Natürlich, deshalb habe ich auch den Plan vorgeschlagen.“ Bevor Silencer weiterreden konnte, schnitt er ihn ab. „Was ist deine Nummer? Oder sonstiger Kontakt?“
Silencer verstummte und runzelte die Stirn. „Warum willst du das wissen, hm? Ich dachte, du bist nur der Lieferant?“
Ade zuckte mit den Schultern. Er bereute die Bewegung sofort, als seine verletzte Seite ans Innere seiner Panzerjacke schrammte, aber er ließ sich nichts anmerken. „Ich dachte, du wolltest fünftausend haben. Wenn nicht, solls mir auch recht sein.“
„Hey, Moment, warte!“
Ade lachte erneut, während Silencer etwas auf dem kleinen Gerät vom Lord herumtippte.
Silencer sprach, während er irgendwas von dem winzigen Bildschirm ablas. „Ich hab dir einen gesicherten Kontakt auf deinem Kommlink erstellt. Wenn was ist, ruf den einfach an und ich melde mich zurück. Und wenn du den weitergibst, ohne mich zu fragen, veröffentliche ich das Bild von dem Schönling mit den Locken im Darknet.“
Ades Lachen erstarb. „Was?“
Silencers Lippen formten sich zum ersten Mal zu einem Haifischgrinsen. „Oh, wär das etwa ein Problem?“ Er lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und betrachtete Ade von oben herab. „Weißt du was? Ich mach dir ein Angebot, so zur Feier des Tages. Sechstausend und ich lösch es von meiner Festplatte.“
Jetzt verstand Ade, warum Flavio nicht wollte, dass er Bilder von ihm auf seinem Kommlink hatte, nur leider war es dafür etwas zu spät.
Er seufzte. „Ich geb dir fünfhundert extra und zerschießt dir nicht sofort dein neues Spielzeug, wie wär‘s damit?“
Silencer überlegte gespielt. „Na schön, aber du schuldest mir was. Vielleicht brauch ich ja noch mal wen, der mir Kabel besorgen geht oder so und du gibst einen guten Lieferjungen ab.“
Ade biss sich auf die Innenseite der Wange und nickte. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, Silencer seinen Kontakt zu geben. Er würde es herausfinden.
„Deal.“